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› Die Elite wendet sich ab ‹

Günther Aigner bezeichnet sich als Wintertourismusforscher und arbeitet auch für die Seilbahnindustrie. DATUM traf ihn zu einer Wanderung oberhalb von Kitzbühel und einem Gespräch über die Zukunft des Skisports, den Super-GAU Ischgl sowie die Weisheit von Wolfgang Ambros.

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Fotografie:
Huber von Wald
DATUM Ausgabe Dezember 2020

Samstag, 7. November, 10 Uhr vor der Alpenpizzeria in Kitzbühel, Stadtteil Stockerdörfl. Günther Aigner, Tiroler, 43 Jahre alt, steht schon bereit – im Bergsport-Outfit. Es ist einer dieser prachtvollen Herbsttage im Westen. Im Tal ist es noch frisch, aber das wird sich bald ändern. Die Lokale sind geschlossen, das Büro zu klein, also gehen wir wandern. Aus dem Stockerdörfl in den Köglergraben hinauf in Richtung Bichlalm zu den Schleierwasserfällen, dann wieder hinunter über die Ebnerkapelle.

Bevor wir richtig anfangen : Sie gelten mitunter als Haus- und Hofwissenschaftler der Bergbahnindustrie.

Günther Aigner : Ja, das ist mein Image. Das kann ich auch nachvollziehen.

Weil es so ist ?

Nein.

Auf der Website Ihres Unternehmens stehen die Logos aller möglichen Skigebiete, Tourismusverbände oder der Seilbahnindustrie: Jede Forschung braucht Geld. Ich habe keine Möglichkeit, an öffentliche Forschungsgelder zu kommen, und viele meiner Projekte werden von Unternehmen aus dem Skitourismusbereich finanziert. Sind meine Studien deshalb falsch ? Nein. Und meine Geldgeber haben zwar Einfluss auf das Forschungsthema, aber keinen Einfluss auf die Ergebnisse. Ich kann nachvollziehen, wenn mir das jemand nicht glauben will, aber ich habe ein reines Gewissen. 

Der Grund, warum Sie häufig in der Kritik stehen, sind Ihre Studien, wonach der Klimawandel in den Alpen eigentlich kein Problem sei. Wie kamen Sie eigentlich dazu ?

Nach meinem Studium (Betriebswirtschaft und Sportmanagement, Anm.) arbeitete ich bei Kitzbühel Tourismus, dort kamen immer wieder Anfragen für Bachelor- oder Masterarbeiten herein, mit der Frage : Der Schnee wird immer weniger, was macht ihr eigentlich, wenn es in zehn Jahren gar keinen mehr gibt ? Wir hatten zu der Zeit gerade einige sehr schneereiche Winter, und mich hat fasziniert, dass diese Frage immer wieder kam. Noch mehr hat mich fasziniert, dass wir nicht antworten konnten, weil wir nicht die geringste Idee davon hatten, wie sich Schneelage und Temperatur in Kitzbühel entwickelt haben. Da geht es ja um den Rohstoff für den touristischen Erfolg ! Also habe ich neben meiner eigentlichen Arbeit alle verfügbaren Daten von der ZAMG bis zu den hydrografischen Landesdiensten erhoben und zusammengetragen. Meine erste Publikation im Kitzbüheler Stadtblatt hat gezeigt, dass der Schnee in den vergangenen 120 Jahren etwas weniger geworden ist, aber nicht einmal statistisch signifikant. Na, mehr hab’ ich nicht gebraucht. Ich habe wütende E-Mails bekommen, wie ich so einen Scheiß schreiben kann, ob ich nichts von den Treibhausgasen gehört hätte. Viele, mit denen ich gesprochen habe, hatten den Eindruck, früher hätte es drei- oder viermal so viel Schnee gegeben – aber das geben die amtlichen Messdaten einfach nicht her.

Wie ging’s dann weiter ?

Im zweiten Schritt haben wir tirolweit publiziert, dass die Winter am Hahnenkamm seit den 1990er-Jahren kälter geworden sind. Na, dann brach überhaupt die Hölle los. ›Tirol Heute‹ wollte ein Interview machen, sagte das aber dann im letzten Moment ab und strich den Beitrag. Die Daten seien umstritten und der Hahnenkamm dürfe nicht isoliert betrachtet werden, hieß es seitens der ZAMG, und der ORF Tirol strich den Beitrag. Dabei sind das amtlich erhobene Daten. Und wenn es am Hahnenkamm kalt ist, ist es am -Patscherkofel oder auf der Schmittenhöhe auch kalt. Aber die Aufregung war riesig. 

Warum, glauben Sie ?

Diese Botschaft passt einfach nicht ins Bild der globalen Klimaerwärmung, die völlig unzweifelhaft stattfindet. Aber dieser Narrativ lässt kaum eine regionale oder saisonale Differenzierung zu, das wird eher als Störfaktor gesehen. Unsere Aussage bezog sich nur auf die Winter in den Berglagen in den vergangenen drei Jahrzehnten. Über die Zukunft der Winter kann ich gar nichts sagen, zumindest nicht klimatologisch. Aber über die vergangenen 50 Jahre gab es dort eine ganz geringe winterliche Erwärmung, in den vergangenen 30 Jahren eben sogar eine leichte Abkühlung. In den Tälern hingegen sind die Temperaturen auch im Winter angestiegen, und im Frühling und im Sommer auch auf den Bergen, da gab es seit 1970 einen Temperaturanstieg von drei Grad Celsius und eine Steigerung der Sonnenstunden um 30 Prozent. Deshalb schmelzen ja die Gletscher, und nicht, weil es weniger schneien würde. Aber mit dieser Differenzierung kommt man selten durch. Oft hören die Leute nur mit einem Ohr zu, und dann glauben sie, ich sei ein Klimawandelleugner. Im Gegenteil : Jede meiner Publikationen hat eine Präambel, dass es daran nichts zu zweifeln gibt. Ich beschreibe ja den Klimawandel detailliert anhand von amtlichen Daten, stelle dabei aber fest, dass er in den Berglagen im Winter zu weniger Erwärmung geführt hat, als man vermuten würde. Diese Diskussion möchte ich anbieten, und ich bin der Meinung, aufgeklärten Menschen muss es erlaubt sein, den Klimawandel differenziert zu betrachten. Natürlich ist meine Arbeit gefährlich, weil sie missverstanden, aber auch missbraucht werden kann. 

Haben Sie sich keine wissenschaftliche Rückendeckung geholt ?

Zur Sicherheit bin ich mit den Daten zu einem emeritierten Meteorologen und habe ihn gefragt, ob mir wo ein Fehler unterlaufen sein könnte. Er meinte, die Daten sind, wie sie sind. Die haben auch Beamte erhoben, die keinerlei Interessen in irgendeine Richtung hatten. Den Klimawandel gibt es, und wir müssen jetzt die Weichen stellen, um ihn zu verringern. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es in den Alpen in 20 Jahren keinen Schnee geben wird. Das kann zwar sein, ist aber aus den Daten der Vergangenheit nicht ablesbar. Jedenfalls habe ich mich dann 2014 mit meinem ersten Auftrag von einem anderen Skigebiet selbstständig gemacht.

Als was eigentlich ?

Darüber habe ich lange mit Freunden diskutiert, und ich kam zum Schluss : Ich bin Skitourismusforscher. Insofern stimmt es, wenn die Leute sagen, ich sei selbsternannter Wintertourismusforscher. Aber wer hätte mich denn dazu ernennen sollen, der Bundespräsident ?

Da wird wohl die fehlende wissenschaftliche Einbettung kritisiert …

Und es gibt eben kein wissenschaftliches Fach dazu, jedenfalls nicht so interdisziplinär, wie ich es anlege. Da geht es ja nicht nur um Meteorologie, sondern auch um Ökonomie, Soziologie, Technik, Demografie und vieles mehr. In all diesen Bereichen gibt es Hyperspezialisten, und ich sehe mich als jemand, der die Dinge zusammenträgt. Insofern finde ich die Bezeichnung Skitourismusforscher gerechtfertigt, aber natürlich öffnet das Tür und Tor für spöttische Bemerkungen. Damit kann ich leben.  Aber natürlich ist meine Arbeit populärwissenschaftlich. 

Der Weg führt uns an einer riesigen Baustelle vorbei. Der Köglerbach bekommt eine neue Wildbachverbauung, so wie viele Bäche in der Gegend. Riesige Betonkonstrukte sollen den Bach bei einem Unwetter in Zaum halten. 

Aigner : Der Köglerbach ist besonders gefährlich, weil er so ein großes Ein-zugsgebiet hat und sehr viel Material mitführen könnte. Die alten Bauernhäuser da oben, die sind sicher. Die haben gewusst, wo man gefahrlos bauen kann. Aber hier unten kann’s gefährlich werden. Das ist auch ein brutaler Eingriff in die Natur, oder ?

Apropos Eingriff in die Natur : Jedes Jahr sorgt Kitzbühel für Unverständnis und Kopfschütteln, wenn am Resterkogel noch früh im Oktober eine Piste inmitten der grünen Wiesen ausgewalzt wird. Der Schnee wird dort über den Sommer gebunkert. Ist das notwendig ? Ist das gescheit ?

Die Schneedepots funktionieren wirklich gut – der Volumenverlust über die Sommermonate beträgt nur etwa 13 Prozent. Die Fläche des Depots ist ein bisschen kleiner als ein Fußballfeld, dort liegt jetzt seit fünf Jahren permanent Schnee. Natürlich ist das für die Flora darunter nicht gut – davon wird nicht mehr viel übrig bleiben, aber es ist weder versiegelt noch dauerhaft vernichtet. Ich denke, das ist ein vertretbarer Eingriff in die Natur. Das Problem ist nicht, dass die Wiese nicht mit der Schneedecke umgehen kann. 

Das Problem ist die Macht der Bilder, die verlässlich um die Welt gehen ?

Ja, die Leute flippen richtig aus, die bekommen Wutausbrüche. Und ich kann’s verstehen. Ich kann nachvollziehen, dass man sagt, da werden die Zyklen der Natur ausgehebelt, ja eigentlich verspottet. Wir haben ausgerechnet, dass der 11. November der durchschnittliche Einschneizeitpunkt am Resterkogel ist. Das ist jener Tag, an dem dort in einem Durchschnittsjahr die dauerhafte Schneedecke beginnt. Ich fände es gut, wenn man sich nach den Zyklen der Natur richtet und das Schneedepot erst an diesem Tag, dem 11. November, auf die Piste ausbreitet. 

Nach den Schleierwasserfällen kommen wir aus dem dunklen und kühlen Graben hinaus auf die sonnigen Wiesen. Vor uns die schneebedeckten Hohen Tauern mit dem Großvenediger. Weiter vorn im Bild das gerade besprochene Schneeband am Resterkogel. Es sieht tatsächlich pervers aus, inmitten der grünen Almen. Aber heute ist ja auch erst der 7. November. Wir setzen uns aufs Bankerl mit Blick auf Kitzbühel und den gegenüberliegenden Hahnenkamm. Die Kühe sind schon wieder in den Ställen, die Schneekanonen stehen das ganze Jahr über auf den Hängen. Bis zu 32.000 Menschen gehen dort in den Weihnachtsferien skifahren – pro Tag.

Aigner : Unser großes Problem ist, dass es in der Bevölkerung der für uns wichtigen Ballungsräume – Wien, Linz, München, Stuttgart und andere – immer weniger Skifahrer gibt. Seit die gesetzlich vorgeschriebenen Schulskikurse in den 1980ern abgeschafft wurden, wird Skifahren praktisch nur noch innerhalb der Familien weitergegeben. Dazu habe ich eine zweite These : Die urbane Oberschicht wendet sich immer mehr vom Skisport ab. Das ist eine gefährliche Beschädigung seines Markenkerns. Denn es waren Ärzte, Rechtsanwälte, Aris-tokraten, Industrielle und Intellektuelle, die das Skifahren vor 125 Jahren zu einer Bewegung machten. Das waren die, die die Bücher von Fridtjof Nansen lasen, sich dann die Skier aus Norwegen bestellten und mit weißem Hemd und Krawatte skifahren gingen. Die Elite, das ist meine Wahrnehmung, wendet sich vom Skisport ab, das geht ganz langsam, wirkt aber wie eine Atombombe in Zeitlupe. Wenn die urbane Elite heute nicht mehr an den Skisport glaubt – wegen des Klimawandels, wegen der Zerstörung der Alpen oder weswegen auch immer –, dann wird es in dreißig Jahren auch kaum mehr Wintertourismus geben. Das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. 

Kann man dieses Abwenden verhindern ? Will man es überhaupt ?

Interessant ist, dass die meisten Player im Wintertourismus das nicht erkennen möchten und keine Lust haben, daran zu arbeiten. Stattdessen glauben sie, dass sie die Welt weiterhin mit Hochglanzbroschüren und TV-Spots zupflastern können. Dabei ist das alles rauschgeschmissenes Geld, wenn dir die Menschen nicht mehr glauben. Jetzt, ganz besonders nach dem Super-GAU von Ischgl, wäre die Zeit für eine breite und langfristige Kampagne, die das Image, dass der Skitourismus die Berge allesamt zerstören würde, zurechtrückt, aber mit transparenten Fakten und nicht mit hübschen Fotos. Zuvor aber sollte man den Wintersport neu denken.

Das sagt sich leicht, wo sollte man ansetzen ?

Zum Beispiel könnten sich die Bergbahnbetriebe zu aktiven Partnern der Energiewende machen. Kein Greenwashing, sondern echt ! Sie sollten nicht beleidigt aufschreien, wenn sie von NGOs attackiert werden, sondern vielmehr die Zusammenarbeit mit den NGOs suchen und wirklich alles tun, damit sie glaubhaft versichern können, dass sie die negativen Eingriffe in die Natur so minimal wie möglich halten. Es gibt ja jetzt schon viele Missverständnisse : Auf den Bergen haben sie seit Jahrzehnten Elektromobilität mit dem gleichen Strommix wie die Eisenbahn. Die technische Beschneiung, von der viele glauben, sie zerstöre die Vegetation, schadet der Natur in Summe nachweislich nicht – es gibt ein paar negative Effekte und ein paar positive, aber nichts Dramatisches. Es ist ja nur gefrorenes Wasser. Da drüben, auf der Streif, wächst das Gras im Sommer wie verrückt, und den Kühen gefällt’s. Aber der durchschnittliche Spiegel-Leser glaubt, das alles zerstört die Alpen. Und es ist egal, ob es stimmt oder nicht : Wenn er das glaubt, wird er seine Entscheidungen danach treffen.

Die riesigen Speicherseen für das Wasser der Beschneiungsanlagen machen es ihm aber auch nicht leichter. Auch da denkt man sich : Das ist doch pervers.

Aigner : Jetzt könnte aber etwa der Fachverband der Seilbahnen hergehen und sagen : Wir haben die Vision, dass diese Speicherseen in den nächsten zehn Jahren zu Naturbiotopen gemacht werden – gemeinsam mit NGOs. Und wenn nur die Hälfte der Skigebiete mitmacht, hätten wir schon eine riesige Ver-
besserung. Und man könnte Wintertourismus in den Alpen überhaupt als klimafreundlich positionieren. Im Flachland im Osten liegt im Winter oft wochenlang der Nebel – die Menschen sehnen sich nach einer Woche Sonne und fahren dann nach Gran Canaria oder Kuba. Da ist ein Skiurlaub in Zell am See mit Anreise per Zug doch ein besseres Angebot für den klimabesorgten Bürger.

Skifahren fürs Klima ?

Besser als ein Flug nach Thailand, oder ? Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Berge immer mehr verbaut und zerstört werden. Das stimmt nicht. Die Anzahl der Skilifte in Österreich nimmt jedes Jahr ab. Aber zusätzlich sollten die Bergbahnen ganz klar sagen : Wir wollen keine Erweiterungen mehr, wir wollen nur noch verbessern und austauschen, aber keine neuen Geländekammern erschließen. Kitzbühel hat das in den vergangenen Jahren schon gesagt. Und wir haben hier auch genug. 

Sie haben Ischgl angesprochen als den Super-GAU. Was genau war für Sie der Super-GAU ?

Ich glaube, dass bei der Räumung Tirols nur wenige Fehler passiert sind. Da war auch Pech im Spiel, das hätte in Saalbach vielleicht auch pas-sieren können. Das eine große Problem war, dass diese Geschichte das Geschäftsmodell von Ischgl sichtbar gemacht hat, was wieder viele Leute verstört hat. Der Eindruck war : Dieser perverse Wintertourismus hat uns jetzt auch noch in ganz Europa die Covid-Pandemie beschert. Und das zweite war der Umgang von Tourismus und Politik damit. Nach dem Motto : › Wir haben alles richtig gemacht … ‹ Da hat sich gezeigt, dass wir sowohl im Tourismus als auch in der Politik ein Problem mit der Intellektualität haben. Tirol ist zur Lachnummer geworden. Das sollte uns zu denken geben, bevor wir beleidigt sind.

Beim Abstieg passieren wir die Ebner Kapelle aus dem Jahr 1779 und durchqueren einige Bauernhöfe. Überall wird gearbeitet. Aigner kennt und grüßt sie alle, sogar die Katzen. Unser Weg ist seine tägliche Laufstrecke. Wir sprechen darüber, wie teuer Skifahren ist und sein sollte. Knapp 60 Euro kostet eine Tageskarte in Kitzbühel in der Hauptsaison. Und dennoch sind die Pisten an manchen Tagen heillos überfüllt. 

Aigner : In den vergangenen Weihnachtsferien war Kitzbühel nahe der Apokalypse – überall Stau, alles voll. In ganz Tirol sollte man sagen : Wir wollen weg von der Masse. Ich glaube, dass wir darüber nachdenken müssen, den Traffic zu begrenzen. So volle Skipisten wie bei uns gibt es auf der ganzen Welt nicht. Und wenn du weniger Gäste willst, musst du nur die Preise anheben, den Rest regelt der Markt. Die Kehrseite ist, dass es diskriminierend ist und dann nur noch die Reichen skifahren können. Dann kostet eine Tageskarte in Kitzbühel 90 Euro. Das ist immer noch günstiger als in den Top-Skigebieten der USA, wo ein Tag bis zu 170 Dollar kostet. 

Das klingt, als wäre es ein österreichisches Missverständnis, dass Skifahren ein Massensport geworden ist.

Das ist es auch. Das gibt es nur im deutschsprachigen Alpenraum, ein bisschen auch in Norwegen. In den USA ist es ein Sport der Reichen und Schönen, so wie es bei uns bis in die 1920er- und 30er-Jahre war. 

Derzeit boomt das Tourengehen und das freie Skifahren im Gelände. Was ist von diesem Trend zu halten ?

Das ist ja die Wurzel des Skifahrens. Zuerst gab es den Skifahrer und dann erst den Skilift. Es ist eine wunderschöne sportliche Begegnung mit der Natur, es geht um Risikoeinschätzung und Selbstverantwortung. Und es bedient den Gegentrend zur Globalisierung, zurück zur Natur. Aber es gibt auch hier Grenzen. Wenn noch mehr Leute anfangen, Touren zu gehen, wird das wieder zum Problem fürs Wild. Dann müsste man das reglementieren, was natürlich wieder Freiheit nimmt. Der Vorteil von Skigebieten ist eben, dass sie die Skifahrer kanalisieren. 

Wir sprechen hier Anfang November und wissen noch nichts von bevorstehenden Lockdowns. Dennoch die Frage : Wie blicken Sie auf den kommenden Winter ?

Wenn die Weihnachtsferien abgeschrieben werden müssen, ist das eine Katastrophe, vielleicht gibt es vorher eine Beruhigung und die Möglichkeit, kurzfristig buchende Gäste zu locken. Das wäre dann wohl ein Minus von 20 Prozent, was unter normalen Umständen ein Worst-Case-Szenario wäre. Aber in dieser Situation ist das das Best-Case-Szenario. Wenn aber das Virus den Wintertourismus bis Ostern praktisch verhindert, sehe ich überhaupt eine touristische Kernschmelze. Zwischen einem blauen Auge und der Apokalypse ist alles möglich. 

Wir kommen wieder in die Nähe unseres Ausgangspunktes, die Alpenpizzeria im Stockerdörfl. Aigner bleibt abrupt stehen. 

Aigner : Was mich fasziniert, ist, dass der Wintersport seit einigen Jahren immer nur mit Problemen in Verbindung gebracht wird. Bei jedem Interview – es geht immer nur um die Probleme, und nie um die unbeschreibliche Freude, die Menschen beim Skisport empfinden. Wir könnten ja auch darüber reden, was die Gründe dafür sind, dass Menschen so verrückt danach sind, dass sie viel Geld ausgeben. Der Schnee in den Bergen, die Aussicht, das Gleiten und Schweben, die gute Luft, die Bewegung – das alles ist von zeitloser Schönheit. Wolfgang Ambros hat es so gut formuliert : › Und wann der Schnee staubt, und wann die Sunn scheint, dann hab ich alles Glück in mir vereint. ‹ Diese Glücksmomente sind nicht ersetzbar. Aber das verstehen nur Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben. Und es kommt mir so vor, dass der Wintertourismus im Strafraum der medialen Öffentlichkeit gelandet ist. Und da muss er sich jetzt selbst herausspielen. Jetzt muss er liefern und sagen : › So schlecht sind wir nicht, weil … ‹ Und wenn wir diesen Satz nicht vollenden können, sollten wir es lieber bleiben lassen. •